Zweiter offener Brief ans Sozialamt

Sehr geehrte Frau Lübberstedt, sehr geehrte Frau Gasser Pfulg

Vielen Dank für Ihre Antwort auf unser erstes Schreiben.

In „normalen Zeiten“ setzen wir uns mit zahlreichen Projekten wie Deutschkursen und Besuchen in Rückkehrzentren für die geflüchteten Menschen im Kanton Zürich ein. Im Moment finden unsere Kurse nicht statt, und auch Besuche können wir keine mehr machen. Wir sind aber weiterhin mit den Bewohnerinnen und Bewohnern der verschiedenen RKZ (Adliswil, Hinteregg, Glattbrugg, Kempthal, Urdorf) in Kontakt.

Wir sehen uns veranlasst, uns ein zweites Mal mit einem dringenden Anliegen an Sie zu wenden. Seit unserem letzten Schreiben, in dem wir eine dezentrale Unterbringung der Personen in den Rückkehrzentren forderten, hat sich die Situation weiter verschlechtert.

Bereits mit dem Brief vom 18. März 2020 haben wir vor der prekären Situation (zu beengte Platzverhältnisse, geteilte sanitäre Anlagen) gewarnt. Seither erfahren wir täglich und direkt vom Mangel an Umsetzung eines Pandemiekonzeptes, über das Sie und Ihre Partnerorganisationen gemäss Ihrem Antwortschreiben verfügen.

Wir sind besorgt darüber, dass die geflüchteten Menschen in Zeiten, in denen Solidarität mit den Schwächsten gefordert wird, von Seiten der zuständigen Behörden zu wenig der Situation angepasste Unterstützung erfahren und die Empfehlungen des Bundes nicht umsetzen können. Viele Freiwillige aus dem Umfeld des Solinetzes sind zurzeit täglich im Einsatz, um die Not in den RKZ zu lindern.

Uns ist bewusst, dass auch die für die Betreuung zuständigen MitarbeiterInnen der ORS AG zurzeit besonders gefordert sind und ihr Bestes geben, um eine gute Betreuung der Asylsuchenden zu gewährleisten. Dass unterdessen einzelne Transfers von Personen, die der Risikogruppe angehören, in leerstehende Unterkünfte stattgefunden haben, begrüssen wir sehr.

Doch es ist dringend notwendig, dass das Sozialamt zusammen mit der ausführenden ORS AG generelle, nachhaltige Massnahmen ergreift, um auch die in den RKZ verbliebenen Personen vor einer Ansteckung zu schützen und sie nicht zusätzlicher Not auszusetzen. So hat auch der Fachexperte der Armee, Brigadier Raynal Droz, an der Pressekonferenz vom 30. März 2020 erklärt, die Armee bringe seit Wochen niemanden mehr in unterirdischen Anlagen unter, weil dort die Massnahmen des BAG nicht umsetzbar sind.

Seit letztem Donnerstag, 26.3.2020, erhalten die Bewohnerinnen und Bewohner des RKZ Adliswil und des DZ Ober Halden in Hinteregg kein Nothilfegeld mehr, stattdessen liefert ein Catering einmal am Tag das Essen, dies um die Ansteckungsgefahr in der Küche zu vermeiden. Das ist ein erster Versuch, die Situation zu entschärfen.

Leider ist es so, dass diese jüngsten Massnahmen eine neue Not bei den verbliebenen Bewohnerinnen und Bewohnern hervorrufen. Die Ansteckungsgefahr besteht weiterhin, da Dusche und WC immer noch geteilt werden müssen und nun, bei gesperrter Küche, noch weniger Wasseranschlüsse, insbesondere für Warmwasser, zur Verfügung stehen. Das gestrichene Nothilfegeld versetzt die betroffenen Personen, die weitere Grundbedürfnisse zu decken haben, in existentielle Not. Wie können sie Hygieneartikel, Handyguthaben (Stichwort Homeschooling, Informationsbeschaffung, soziale Kontakte), Kindernahrung, etc. kaufen?

  • Das Nothilfegeld ist für die Deckung des individuellen Grundbedarfes unbedingt wieder auszuzahlen.

In Bezug auf die Grundbedürfnisse, die aufgrund des gestrichenen Nothilfegeldes nicht gedeckt werden können, möchten wir auf einen Punkt besonders hinweisen. Internet – die Möglichkeit zur Informationsbeschaffung – ist in diesen Zeiten der Isolation ein Grundbedürfnis, insbesondere auch für Kinder, die mit ihren Lehrpersonen kommunizieren müssen. Sollten Sie zusammen mit Ihrer Partnerorganisation bereits entsprechende Massnahmen eingeleitet haben, würden wir das sehr begrüssen.

  • Es braucht eine Lösung, damit die Personen im RKZ Zugang zum Internet in ihren Zimmern haben

Ein weiterer Punkt, auf den wir noch einmal hinweisen möchten: Erste Personen in den RKZ wurden positiv auf das Coronavirus getestet. Diese Personen leben weiterhin Türe an Türe mit den restlichen Personen im RKZ. Wir sehen so die Gefahr, dass sich die Personen reihum mit dem Virus infizieren, was eine „Dauerquarantäne“ zur Folge hätte. Dies ist insbesondere auch für die Kinder nicht zumutbar.

  • Dezentrale Unterbringung an Standorten, wo die Empfehlungen des BAG eingehalten werden können, ist weiterhin sehr wichtig.

 Wir bitten Sie, in dieser ausserordentlichen Lage, in der wir uns zurzeit alle befinden, die Personen in den Rückkehrzentren zu unterstützen und nicht durch die Streichung des Nothilfegeldes in zusätzliche Not zu bringen.

Das Solinetz und alle Bewohner*innen der Rückkehrzentren danken Ihnen im Voraus für Ihren Einsatz.

Freundliche Grüsse aus dem Homeoffice,

Séverine Vitali, Präsidentin Solinetz Zürich

Hier finden Sie den Offenen Brief als PDF.