Offener Brief zur besorgniserregenden Situation der Kinder in der Nothilfe

An die Entscheidungsträger:innen des Kantons Zürich

Sehr geehrter Herr Regierungsrat Mario Fehr
Sehr geehrte Damen und Herren des Kantonsrats
Sehr geehrte Damen und Herren des kantonalen Migrationsamtes
Sehr geehrte Damen und Herren des kantonalen Sozialamts

Zum ersten Mal hält eine breitangelegte, wissenschaftliche Studie des Bundes fest:

«Kinder und Jugendliche, die in der Nothilfe leben, sind grossen Risiken in Bezug auf ihr Wohl, ihre Gesundheit und Entwicklung ausgesetzt. Ihr Wohlergehen ist stark gefährdet.» Besonders besorgniserregend, schreiben die Studienautorinnen, ist der schlechte psychische Zustand. «Die soziale Isolation, die sie umgebende Perspektivlosigkeit und ihre Ohnmacht in der Folge von Entscheiden, an denen sie nicht partizipieren können – das alles macht sie verletzlich und schwächt sie dauerhaft». Die Kinder erleben eine Reihe «verstörender und kontinuierlich traumatisierender Ereignisse» in den Kollektivunterkünften.

Das Rechtsgutachten zur Studie kommt zum Schluss, dass die gegenwärtige Situation der Kinder in der Nothilfe geltendes Recht verletzt. Sie verstösst gegen die UN-Kinderrechtskonvention sowie gegen verfassungsrechtliche Bestimmungen zum Schutze von Kindern und Jugendlichen.

Wir alle, die diesen Brief unterzeichnen, kennen die in der Studie beschriebene äussert prekäre Situation der betroffenen Kinder im Kanton Zürich und begleiten sie und ihre Eltern, teilweise seit Jahren. Bei Besuchen in den Kollektivunterkünften, in unseren Projekten oder Therapiestunden sehen wir die Kinder, ihre Resilienz – und ihre Not.

Trotz viel Freiwilligeneinsatz und/oder therapeutischer Expertise können wir die Not der Kinder nur begrenzt lindern, denn das Leiden der Kinder wird durch ihre behördlich auferlegten Lebensbedingungen ständig aufrechterhalten. So hält auch die Studie fest: Es sind Politik und Behörden, die handeln müssen!

Wir, die unterzeichnenden Organisationen, möchten Sie bitten, die Handlungsempfehlungen der Studie ernstzunehmen und umzusetzen:

  • Langzeitbezüge (mehr als ein Jahr) von Nothilfe durch Kinder und Jugendliche vermeiden
  • Bei einem Langzeitbezug die Lebensbedingungen zusätzlich verbessern
  • Soziale Teilhabe sicherstellen
  • Familiengerechte Unterkünfte mit Rückzugs- und Lernmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche zuweisen
  • Gezielte Förderung ermöglichen
  • Unterstimulation bei Kindern im Vorschulalter verhindern
  • Zugang zur Volksschule und zur Berufsbildung verbessern
  • Zugang zu medizinischen Behandlungen erleichtern
  • Psychologische Betreuungsangebote bereitstellen
  • Psychologische Unterstützungsprogramme entwickeln
  • Freizeitbeschäftigungen zugänglich machen
  • Klare Zuständigkeiten und Abläufe für den Umgang mit Gefährdungen definieren
  • Einheitliche und verbindliche Standards definieren und deren Einhaltung regelmässig überprüfen

Alle unterzeichnenden Organisationen sind interessiert an einem Dialog mit Ihnen, um gemeinsam an der Umsetzung der Handlungsempfehlungen zu arbeiten. Das Kindswohl steht an erster Stelle. Dieser Grundsatz muss uns leiten.

Wir hoffen, dass Sie sich von der Studie berühren lassen und in Gedanken an die Kinder für eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen einstehen. Herzlichen Dank!

Mit freundlichen Grüssen
Die unterzeichnenden Organisationen

  • Asylex
  • augenauf Zürich
  • Autonome Schule Zürich
  • Deutschintensiv Solinetz Winterthur
  • family-help
  • Flüchtlingsparlament
  • Freiplatzaktion Zürich
  • NCBI Schweiz
  • OFF Ort für Frauen
  • Verein migrationscharta
  • Welcome to school
  • Sans-Papiers Anlaufstelle Zürich SPAZ
  • Solinetz Zürich
  • SPORTEGRATION
  • Zurich Legal

Für Rückfragen: Hanna Gerig und Malek Ossi, info@solinetz.ch, 044 291 96 94

Offener Brief_Kinder in der Nothilfe (PDF)