In Erinnerung an Ueli Wildberger

“Wenn ich an Ueli denke, fällt mir als Erstes und am nachhaltigsten und dauerhaftesten sein Leuchten ein. Immer war es da, wenn ich ihn sah, wie ernst oder traurig der Anlass auch war — das Grundleuchten blieb.
Ich habe Ueli Anfang 2009, nach der Besetzung der Predigerkirche, kennen gelernt. Damals schloss sich, neben vielen anderen Aktivitäten, ein Grüpplein zusammen, das sich bald «die Koordinationsgruppe» nannte. Früh liess Ueli das Wort «Solidaritätsnetz» fallen. So eines hatte ein Pfarrer in Sankt Gallen ins Leben gerufen. Die Koordinationsgruppe traf sich oft. Am Anfang galt es, allen Beteiligten die Situation, die mit der Einführung der Nothilfe entstanden war, klarzumachen: rechtlich, praktisch, auf Bundesebene, auf Kantonsebene. Als nächstes, sich zu überlegen, was in dieser Situation zu tun war: Wie sich vernetzen? Mit wem? Aus welchem  Anlass? Was fordern? Mit welchen Werten? Mit welchen Werkzeugen?
Das klingt sehr trocken, war aber in Wahrheit viel lustiger und aufregender. Das erste Positionsdokument (bevor wir später das Leitbild erarbeiteten, für das ich nach wie vor stolz auf uns bin) entwickelten wir in Nachtarbeit, und zwar an einem Ort, der mir im Nachhinein wie ein Treppenhaus in Erinnerung ist. Kann das sein? Manchmal trafen wir uns auch in der Mittagspause in der Bäckeranlage. Ein paar Mal war mein jüngstes Kind dabei, und Ueli gab ihm auf der Schaukel (dem Riitseili) an, während wir diskutierten.
Nach und nach erfuhr ich, wer Ueli war. Dass er 68 die Studentenbewegung aus eigener Anschauung erlebt hatte. Dass er sich nicht nur für ein Solinetz einsetzte, sondern ein richtiger Friedensarbeiter war, (dank ihm haben wir das berühmte Leitbild in den Räumen des Schweizerischen Friedensrates erarbeitet — Vernetzung), den Menschenstrom gegen Atom mitorganisierte und überhaupt an allem beteiligt schien, wo man sich für eine bessere Welt einsetzt. Nie hätte er es abgelehnt, Schichten an einem Stand zu übernehmen, an einer wichtigen Demo teilzunehmen oder zu flyern, selbst bei unwirtlichstem Wetter. Bei Regen kam er auf seinem Velo angefahren und hatte seine Kapuze eng ums Gesicht geschnürt (das man natürlich trotzdem leuchten sah), und den Sattel schützte er, so lange er nicht selber darauf sass, mit einem alten Plastiksack.
Ueli wusste aber auch alles über das Vereinswesen: Welche Vorgaben des ZGBs einzuhalten waren; wie man ein Vereinskonto eröffnet. Entscheidende Kenntnisse für die Gründung des Solinetzes. Er schrieb stets mit, unauffällig und knapp, und kam auch nach Jahren als einziger computerlos und bestens vorbereitet mit einem durchsichtigen Mäppchen, in dem alle Bleistift-Notizen wohl verwahrt waren.
Im Sommer schöpfte er Kraft in den Bergen, beim Heuen, wie er mir erklärte. Und er schrieb Kindergeschichten, in denen Tiere und Berge vorkamen und die er selbst mit Aquarellen illustrierte. Diese Büchlein waren für seine vielen Göttikinder bestimmt. Er hat sie aber auch vervielfältigt und mir einige für meine Kinder geschenkt.
Irgendwann lernte ich auch seine Frau France kennen und erfuhr, dass die beiden seit Jahren, was, Jahrzehnten!, in der gleichen WG an der Agnesstrasse wohnten (im Tagi lässt sich ein Artikel mit Foto dazu finden). Nach 38 Jahren wurde der WG gekündigt. Die Enttäuschung war riesig. Uelis und Frances Umzug in eine neue, kleinere WG (mit Liftanschluss!) am Stadtrand erstreckte sich über mehrere Tage und liess erahnen, wie viele Freundinnen und Freunde und ehemalige Mitbewohner:innen die beiden hatten, die jetzt alle vorbei kamen, um zu helfen.
Ueli war auch Theologe und hat mir einmal gesagt, auf Theologisch (mit Schaffhauser Akzent natürlich) würde man sein Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung vielleicht so umschreiben können: Gott begegnen in seinen menschlichen Gewändern.
Ueli war nicht einfach konsequent, sondern konsequent liebenswürdig, liebenswürdig hartnäckig und hartnäckig fröhlich und warmherzig. Er leuchtete nicht nur von innen heraus, sondern hatte ein Lachen, das klang wie ein Bergbächlein, das sprudelt; oder wie ein Glöckchen, das ich in der Erinnerung klingeln höre.”

Séverine Vitali, Solinetz-Gründungsmitglied, ehem. Vorstandsmitglied, ehem. Präsidentin