“Damit habe ich nicht gerechnet!”

Nach fast sechs Jahren bin ich immer noch am Anfang. Zeit und Gelegenheit kommen und gehen. Ich habe aber noch nicht angefangen. Ich bin auf der Suche nach der Gelegenheit, die ich verloren habe. Ich erinnere mich an den Tag, den ich ohne Beschäftigung und ohne Arbeit in einer Asylunterkunft verbracht habe. Ich musste meine wertvolle Zeit im Schwimmbad oder unter den grünen Bäumen verlieren. Ich bin müde von diesen Tagen. Ich wünsche mir Tage, an denen Frühling, Sommer, Herbst und Winter für mich gleich sein werden. Ich kann am Morgen zur Arbeit und am Abend müde zurück nach Hause gehen. Dann würde ich mich nach der Zeit sehnen, die ich hatte. Ich vermisse die Zeit, als ich jung war und Kraft hatte, etwas zu machen. Aber ich habe sie nicht mehr und sie kommt nie wieder. Ich weiss, man kann alles nachholen, aber die Zeit kann nie nachgeholt werden. Ich sage immer: warum habe ich in diesen Jahren nicht einen Beruf lernen können, warum habe ich nicht gearbeitet? Ich hatte genügend Kraft für einen Beruf oder eine Arbeit, aber ich durfte leider nicht. Ich freue mich auf eine Zukunft, auf die ich zählen kann, ohne über diese sechs Jahre nachzudenken.

Zum Text:
Der Mann, der diesen Text geschrieben hat, möchte gerne anonym bleiben. Nachdem er in verschiedenen Notunterkünften wohnte und für mehr als ein Jahr auf sein Gemeindegebiet “eingegrenzt” war, kann er heute bei einer Gastfamilie wohnen. Er lernte u.a. mit Freiwilligen des Solinetzes Deutsch und engagiert sich heute selbst als Freiwilliger in einem Solinetz-Projekt. Bald macht er die C1-Prüfung. Seine Zukunft ist weiterhin ungewiss. Es ergeht dem Autor wie vielen weiteren Personen, die als abgewiesene Asylsuchende im Nothilfesystem leben müssen.


Zu den Fotos
: Der kleine Fluss fliesst an den Containern der Notunterkunft Glattbrugg und dem Ausschaffungsgefängnis vorbei. Der Fotograf hat diese Bilder während der Zeit gemacht, in der er dort wohnte.