Offener Brief ans Sozialamt: Keine tägliche Unterschriftspflicht!

Zürich, 3. Juli 2020.

Sehr geehrte Frau Lübberstedt, sehr geehrte Frau Gasser Pfulg

Wir möchten mit diesem Schreiben unsere Unterstützung für das Anliegen der Bewohnerinnen und Bewohner der kantonalen Notunterkünfte ausdrücken, nur einmal in der Woche unterschreiben zu müssen.

Seit Montag, 22. Juni 2020, sind die Menschen in den kantonalen Notunterkünften in Adliswil, Glattbrugg, Hinteregg, Kemptthal und Urdorf angehalten, wieder zweimal täglich (Adliswil: einmal) im ORS-Büro ihrer Unterkunft zu unterschreiben, um das Nothilfegeld von 8.50 Franken zu erhalten.

Nothilfe ist ein verfassungsmässig garantiertes Grundrecht. Das Nothilfegeld ist für die abgewiesenen Asylsuchenden überlebenswichtig. Sie müssen damit Essen, Hygieneartikel, Mobilitätskosten, Kommunikationsmittel und alles weitere fürs Leben Notwendige bezahlen. Trotzdem: Wenn eine Person einmal nicht oder nicht rechtzeitig unterschreiben kann, erhält er oder sie das Nothilfegeld nicht.

Während die Pandemie-Schutzmassnahmen für die Bevölkerung zurzeit wieder verstärkt werden, müssen die Menschen in den Notunterkünften genau das Gegenteil erleben: Der Schutz vor Infektion wird verringert, das Infektionsrisiko erhöht sich wieder, wenn an jedem Standort 50 bis 100 Personen zweimal täglich Schlange stehen müssen.

Die Pflicht, zweimal täglich zu unterschreiben, bedeutet für die Bewohnerinnen und Bewohner der Notunterkünfte eine grosse Belastung und einen psychischen Stress. Deutschkurse, soziale Kontakte, die für die psychische Gesundheit sehr wichtig sind, Kirchen- oder Moscheebesuche, und weitere Aktivitäten werden durch die Anwesenheitspflicht wesentlich erschwert. Der zweimal tägliche Präsenzzwang führt die Betroffenen in zusätzliche Isolation.

Im Kanton Zürich wurde die Pflicht, zweimal täglich zu unterschreiben, im Februar 2017 – von einem Tag auf den anderen – eingeführt. In anderen Kantonen gibt es eine solch strenge Unterschriftspflicht nicht, etwa in Bern, Schwyz, Zug, Obwalden oder Appenzell Innerrhoden.

Die Umstellung auf nur einmal wöchentliches Unterschreiben in der Coronazeit hatte den Bewohnerinnen und Bewohnern der Notunterkünfte eine gewisse Erleichterung verschafft. Es hat sich ausserdem gezeigt, dass eine einmal wöchentliche Unterschriftspflicht gut funktioniert. Auch der administrative Aufwand für die Mitarbeitenden ist so geringer.

Die unterzeichnenden Organisationen möchten mit diesem Offenen Brief das Anliegen der Bewohnerinnen und Bewohner ausdrücklich unterstützen, nur einmal pro Woche unterschreiben zu müssen. Wir würden gerne ein Treffen mit Ihnen organisieren, um das wichtige Anliegen zu besprechen. Wir danken Ihnen im Voraus für Ihren Einsatz!

Freundliche Grüsse

– Solinetz Zürich
– NCBI National Coalition Building Institute
– SP Kanton Zürich
– JUSO Kanton Zürich
– Junge Grüne Zürich
– Freiplatzaktion Zürich
– Sans Papiers Anlaufstelle Zürich SPAZ
– AsyLex
– Augenauf
– Autonome Schule Zürich
– Bündnis Wo Unrecht zu Recht wird
– Solidarité Sans Frontières
– Deutsch für Alle PHZH
– Sportegration
– Eritreischer Medienbund Schweiz
– Jesuiten Flüchtlingsdienst Schweiz
– Kollektiv Freizeit mit Freunden
– Resos

– Verein Neuland Horgen

– Der Unterstützungsbrief als PDF
– Der Brief der BewohnerInnen hier
– Die “Antwort” vom Sozialamt als PDF (10. Juli 2020)